Eines vorweg: wir reden hier nicht von Unfällen, sondern von Krankheit im engeren Sinn. Dabei definieren wir Krankheit bereits als ein Gefühl des Unwohlseins, ein sich nicht in der eigenen Mitte befinden. Manchmal wird es einem gar nicht einmal selbst bewusst, dass etwas nicht stimmt. Man hat halt mehr Hitzen als andere, bekommt feuchte Augen, wenn es draußen kalt ist oder geht erst weit nach Mitternacht schlafen. Im Sinne der TCM sind dies bereits Symptome, die auf eine Fülle oder einen Mangel hindeuten und Teil der Landkarte, die von einem TCM-Mediziner als Diagnose erstellt werden. Manches mag durch das letzte Abendessen oder ein stressiges Projekt in der Arbeit bestimmt sein, manches wird aber auch einfach als Symptom des Älterwerdens oder als „nicht so wichtig“ abgetan.
Ob man sich krank fühlt oder nicht, ob man in seinem Leben durch fehlendes Funktionieren des Körpers immer mehr eingeschränkt ist und ob einen das letztlich auch stört, muss jeder von uns selbst bestimmen. Doch aus meiner Erfahrung gibt es zwischen dem, was die westliche Medizin als krank definiert und dem, wo die Abweichung von Gesundheit aus Sicht der TCM beginnt, eine ziemliche Lücke. Diese versucht man mit Vorsorgeuntersuchungen zu schließen, doch diese Vorsorgeuntersuchungen nehmen die Definition und Entscheidung, ob man krank ist oder nicht, vom Patienten und übergeben diese Messergebnissen von Diagnosegeräten. Etwas ketzerisch ausgedrückt: wer weiß schon, ob ein Tumor sich nicht auch bei richtiger Lebensweise von alleine wieder zurückgebildet oder nie eine schädliche Wirkung entwickelt hätte, wenn man ihn nicht entfernt hätte1 – und stattdessen nur die Ernährung geändert hätte. Wiederum möchte ich hier nicht an den vielen Fortschritten der Medizin zweifeln, aber macht es wirklich Sinn, sich der Tortur von Chemotherapie und Bestrahlung auszusetzen, wenn man sich vorher gar nicht krank gefühlt hat?
Natürlich gibt es andererseits auch den Faktor, dass man gewisse Dinge im Leben einfach nicht wahrhaben will und einen der Körper dann bremst. Oft passiert dies durch Probleme mit dem Herz oder auch mit dem Kreuz oder einem Knie. Aber wer schon einmal die Wirkung der Krebsbehandlung gesehen hat, dem können schon Zweifel an „Früherkennung“ kommen.
Aus Sicht der TCM gibt es die folgenden Faktoren, die Einfluss auf die Gesundheit haben:
Erbsubstanz, Lebensweise, Ernährung, Emotionen, klimatische Faktoren
Maciocia sieht aus seiner Praxiserfahrung den Zusammenhang so2:
Lebens-abschnitt | zeitl. Einstufung | Erb-substanz | Lebens-weise | Ernährung | Emotionen | klimatische Faktoren |
Kindheit | Bis Pubertät | x | x | x | ||
Heran-wachsen | Bis 20 | x | x | x | x | |
Junger Erwach-sener | Bis 40 | x | x | x | ||
Mittleres Alter | Bis 60 | x | x | x | ||
Alter | Ab 60 | Meist keine neuen Ursachen |
Abbildung 12: Krankheitsursachen nach Maciocia
Auf diese Faktoren möchte ich in der Folge genauer eingehen.
Erbsubstanz
Innerhalb der TCM wird zwischen der Essenz des frühen Himmels und der Essenz des späten Himmels unterschieden. Die Erbsubstanz ist ein Teil der Essenz des frühen Himmels und hat natürlich Auswirkungen auf unsere Gesundheit, auch aus Sicht der TCM. Sie bestimmt unsere maximale Körpergröße, ist verantwortlich für Funktionsstörungen, die bereits mit der Geburt bestehen und begleitet uns ein Leben lang. Allerdings liefert Campbell eindeutige Beweise, dass Gene „eingeschaltet“ werden müssen, um aktiv zu werden. Dieses Aktivieren erfolgt durch unsere Interaktion mit der Umwelt, beispielsweise durch die Einnahme von falscher Nahrung.
Lebensweise
Die Lebensweise beeinflusst unsere Gesundheit, auch aus westlicher Sicht. Aus chinesischer Sicht lässt es sich beispielsweise mit der YIN-/YANG-Theorie beschreiben. Ein Übermaß an YANG (Stress) ist über längere Zeit ebenso schädlich wie ein Übermaß an YIN (beispielsweise Faulheit). Umweltgifte sind unter den äußeren pathogenen Faktoren zu finden (siehe weiter unten).
Ernährung
So wie die chinesischen Kräuter wird auch jedem Nahrungsmittel eine Wirkung zugeschrieben. In China wird damit auch auf die einzelnen Organe eingewirkt, beispielsweise mit der aktivierenden Wirkung von Kaffee, der auf das Herz wirkt. Ebenso kennt man bei uns vielleicht noch die Wirkung von Saurem, das angeblich lustig macht. Im Sinne der TCM wirkt sauer auf die Leber und diese unterstützt das Herz, das sich dann leichter freuen kann.
Im Gegensatz zu Kräutern ist die Wirkung von Lebensmittel wesentlich schwächer und damit auch für den Laien gefahrlos anwendbar. Jedes Lebensmittel hat ja nicht nur eine meist geschmacklich zuordenbare Wirkung auf bestimmte Organe (scharf befreit die Lunge und den Dickdarm), sondern auch eine energetische. Vor allem dieser zweite Aspekt regelt nun, ob wir ein Organ stärken bzw. tonisieren oder beruhigen bzw. sedieren wollen. Dazu gibt es innerhalb jeder Geschmacksrichtung ebenfalls unterschiedliche Zuordnungen. Als Beispiel bleiben wir im Bereich des Sauren. Da würde beispielsweise Essig tonisieren und Tomaten sedieren. Durch eine entsprechende Zubereitung kann hier ebenfalls noch Einfluss genommen werden. Grillen verändert stark in Richtung tonisieren, roh oder kalt wirkt eher sedierend.
Emotionen
Innerhalb der Fünf-Elemente-Lehre wird jedem Organ auch eine Emotion zugeordnet. Damit wird die Seele in die ganzheitliche Betrachtung mit einbezogen. Auch der Geist findet seine Zuordnung. Beides siehe in der nachstehenden Tabelle.
Organe | Element | Emotion | Geist |
---|---|---|---|
Leber, Gallenblase | Holz | Wut, Zorn | Die Geistseele HUN |
Herz, Dünndarm | Feuer | Freude | Der Geist SHEN |
Milz, Magen | Erde | Grübeln | Der Intellekt |
Lunge, Dickdarm | Metall | Trauer | Die Körperseele Po |
Niere, Blase | Wasser | Angst | Der Wille |
Abbildung 13: Emotionen und Bestandteile des Geistes in den fünf Elementen
Die in der Tabelle aus Abbildung 13 genannten Emotionen schädigen im Übermaß das Element und damit auch die zugeordneten Organe. Wir alle wissen, dass sich Wut auf die Leber und/oder auf die Galle schlägt. Die Trauer belastet Lunge und Dickdarm und wenn wir sehr große Angst haben, dann machen wir uns in die Hose (die beiden unteren Öffnungen werden von der Niere kontrolliert) oder werden über Nacht grau (auch die Haarfarbe wird von den Nieren bestimmt.
Die Freude ist etwas spezieller. Ein Zuviel ist hier schwer vorstellbar, jedoch verlangsamt die Freude das Qi und man könnte sagen, dass ein Verharren in einem freudvollen Zustand schlecht ist für unsere Weiterentwicklung. Auch ist ein Zuviel an Spaß, an externen Unterhaltungsfaktoren auf längere Zeit schlecht für unser Herz.
Von den fünf Geistern sind die HUN und die PO aus chinesischer Sicht unsere beiden Seelen. Die HUN ist jener Teil von uns, der nach unserem Tod den Körper wieder verlässt, während die PO mit dem Körper stirbt. Der Shen entspricht unserer Ausstrahlung und ist der kommunikative Teil von uns, während der Intellekt weitgehend unserem Verstand entspricht. Ich denke, der Wille, der den Nieren zugeordnete Teil ist soweit klar verständlich. Schwache Nieren machen uns wankelmütig. Es fehlt die Unterstützung für die Gallenblase, die Entscheidungen treffen muss.
Äußere pathogene Faktoren
Die äußeren pathogenen Faktoren enthalten auch die klimatischen Bedingungen. Diese spielen in unserer Zeit, wo wir in unseren Lebensräumen de facto ein eigenes, angepasstes Klima haben immer weniger Rolle. In Zeiten, wo die Menschen noch in Zelten oder Hütten über den Winter kommen mussten, waren Faktoren wie Kälte oder auch Feuchtigkeit eine wesentlich ernstere Bedrohung für die Gesundheit.
Aber auch Umweltgifte können „über den Wind“ und die Haut eindringen und Schaden verursachen.
Ein weiterer Faktor ist der Schleim. Wenn man sich den Sinn des Schleims betrachtet, so dient er der verletzungsfreien Reinigung der Lunge und der Atemwege. Dazu braucht es einen gesunden Schlaf in der Horizontalen, damit die Lunge sich leicht der Schadstoffe entledigen kann. Schleim kann aufgrund der Beschaffenheit der Schleimhäute vorwiegend in Richtung Mund befördert werden.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch der Umstand, dass Schleim verschiedene Aggregatszustände hat. Mit zunehmender Wärme wird er flüssiger. Dies ist der Grund, warum warme Flüssigkeit schleimlösend wirkt. Auch Schärfe hilft, weil sie generell Hitze produziert. Umgekehrt ist Kälte schädlich, weil es den Schleim „gefriert“. Auch Milchprodukte wie Käse oder Joghurt wirken kontraproduktiv. So wie sie gut gegen Schärfe sind, verstärken sie auch die Verschleimung, weil sie schützend die Haut benetzen.
Schleim ist also per se nichts Schlechtes, wird es erst im Übermaß, wenn er aus den Nebenhöhlen nicht mehr weggeht und die Öffnungen im Kopf verstopft.
1Mehr dazu siehe bei Campbell, ab Seite 45
2Siehe Maciocia[1], Seite 372ff