Die Organuhr

Ich möchte hier etwas weiter ausholen und das Phänomen der Resonanz beschreiben. Wer von den Lesern je in einer größeren Gruppe maschiert ist (z.B. beim Heer), der hat gelernt, dass man über Brücken den Gleichschritt vermeidet. Sie könnten in Schwingung geraten und einstürzen.

Resonanz ist also ein Phänomen, bei dem zwei verschiedene Dinge so aufeinander abgestimmt sind, dass sie in derselben Wellenlänge schwingen. Dann wirkt es plötzlich verstärkend und zwar nicht um einige Prozent, sondern in der Regel um einige hundert Prozent. Es können also Wirkungen entstehen, die man vorher gar nicht wahrgenommen hat.

Dieses Phänomen trifft uns auch beim Tagesablauf, genau genommen auch beim Ablauf des Jahres durch die Jahreszeiten. Je mehr wir eins sind mit der Natur, desto mehr geraten wir mit ihr in Resonanz, desto mehr verstärkt sich unsere Energie. Das ist ein Phänomen, das wir bei Qigong beobachten, das aber auch für unseren Tagesablauf wichtig ist.

Natürlich können wir ständig um die Welt reisen oder auch erst gegen Mittag aufstehen und bis weit nach Mitternacht wach bleiben. Aber wenn wir das tun, geht uns was von der natürlichen Energie verloren, wir nehmen uns die prinzipielle Möglichkeit der Resonanz, also der Verstärkung von natürlichen Prinzipien, der Heilung durch Lebensmittel, der Harmonisierung unserer Emotionen.

Um unseren Körper besser zu verstehen ist es daher hilfreich, einige prinzipielle Dinge zu kennen. Neben dem offensichtlicheren Zyklus der Jahreszeiten gibt es auch den Zyklus des Tages. Dieser wird durch die Sonne geprägt, die hier den Takt vorgibt. Es geht daher auch immer um jene Zeit, die sich aus dem Sonnenstand ergibt, unabhängig davon, ob wir gerade Winter- oder Sommerzeit haben. Unser Körper wird vom Tageslicht gesteuert und gewisse Abläufe passieren um eine bestimmte Uhrzeit, ob wir das wollen oder nicht. Darum ist beispielsweise Schicht- oder Nachtarbeit so problematisch. Wenn es uns gelingt, im Einklang mit diesen Abläufen (Tages- und Jahreszeiten), so wird sich unser Leben harmonischer gestalten. Ganz von selbst.

Der Ablauf

Es heißt: „mit jedem Atemzug bewegt sich das Qi eine Handbreit“1 durch die Meridiane. Auf diese Weise zirkuliert es circa 50 Mal im Körper pro Tag. Dabei gibt es Zeiten, in denen ein Meridian (welcher jeweils zu einem Organ gehört) ein Energiemaximum, sozusagen eine Flut hat und Zeiten, wo derselbe Meridian energetisch einen minimalen Fluss aufweist, sozusagen eine Ebbe erlebt.

Über den Tag verteilt ergeben sich somit immer zwei Stunden, in denen die Energie in einem Meridian sehr hoch ist. 12 Stunden später sind wir dann sozusagen in der Ebbe-Zeit angelangt.

Die Energie fließt dabei durch alle 12 Meridiane hintereinander in der Reihenfolge, in der sie miteinander verbunden sind. Man beginnt mit der Lunge, welche zwischen drei und fünf Uhr morgens ein Maximum aufweist. Die Lunge ist wohl auch deshalb das erste Organ in dieser Reihenfolge, weil es auch das erste ist, was bei einem Neugeborenen aktiv wird, das ja mit seinem ersten Schrei auf der Welt ankommt. Die Lunge ist außerdem der Herrscher über das Qi und schon in Urzeiten wurde diese frühe Stunde auch in Klöstern genützt. Aber die Lunge genießt auch unseren Schlaf, kann sich gut regenerieren, wenn wir ruhig im Bett liegen und schlafen. Manchmal hört man, dass die Lunge wie eine Glocke ist, die nur aufrecht gut klingt. Ich denke, dass es eher umgekehrt ist und sich eine gesunde Lunge in der Nacht reinigt. Das führt zu Verschleimung am Morgen, weil im Liegen die Schadstoffe, die am letzten Tag eingeatmet wurden, den Weg leichter zur Nase finden und dann dort im Schleim eingedickt werden, damit sie nicht mehr in die Lunge zurücksinken.

Nach der Lungenzeit, deren Energie vom Brustkorb zur Hand fließt, kommt als nächstes die Dickdarmzeit. Diese ist zwischen fünf und sieben Uhr. In dieser Zeit sollten wir aufstehen und das ausscheiden, was in der Nacht zuvor noch aufbereitet wurde. Der Körper hat den nicht mehr verwertbaren Substanzen noch Flüssigkeit entzogen und nun gehört dies entsorgt, damit es den Körper nicht vergiftet. Es ist auch logisch, dass der Dickdarm um diese Zeit am aktivsten ist. Tagsüber benötigen wir eher die anderen Verdauungsorgane, in der Nacht wird dem Brei im Dickdarm dann die Flüssigkeit entzogen. Im Liegen bzw. durch unser Umdrehen in der Nacht im Schlaf befördert der Dickdarm diesen Brei immer mehr in Richtung unterer Ausgang. Interessant ist die Menge, die er hier bewältigt. Es sind bis zu 10 Liter Flüssigkeit, die täglich an den Dickdarm übergeben werden. Wenn man bedenkt, dass man vielleicht 2 – 3 Liter zu sich nimmt – da sind schon alle Flüssigkeiten eines normalen Tages dabei – so kommt offenbar nochmals mindestens die zweifache Menge an Verdauungssäften hinzu. Dies erfolgt im Magen über die Magensäure und im Dünndarm einerseits über die Galle, andererseits über die Verdauungssäfte aus der Bauchspeicheldrüse. Ein Großteil dieser Flüssigkeiten wird vor der Ausscheidung wieder zurückgewonnen, wie in einer biologischen Kläranlage.

Der Dickdarmmeridian ist mit dem Magenmeridian verbunden und dieser ist es damit auch, der die Energie nun bekommt. Der Magenmeridian fließt vom Kopf zu den Füßen, jeweils ein Ast links und einer rechts, spiegelbildlich wie alle 12 Meridiane. Seine Zeit ist von sieben bis neun Uhr und in dieser Zeit sollten wir „frühstücken wie ein Kaiser“. Dies ist die Zeit, in der wir dem Magen am meisten zumuten können, weil er voller Energie und Tatendrang ist. Die Verdauung ist durch die Nacht „aufgeräumt“ und bereit für neue Nahrung. Was wir zum Frühstück zu uns nehmen, ist im Idealfall die Energie für den Vormittag.

Der Magen versorgt die Milz mit den aus dem Essen extrahierten Stoffen und ebenso gibt der Magenmeridian an den Milzmeridian die Staffel weiter. Der Milzmeridian fließt von den Beinen, genauer von der Innenseite der großen Zeh, aufwärts zum Brustkorb. In der Zeit seines Energiemaximums, also zwischen neun und elf, ist die Milz am aufnahmefähigsten. Es heißt, dass eine gesunde Milz sich aus dem Angebot nimmt, was sie braucht. Darum sollten wir uns möglichst vielfältig ernähren, damit die Milz bekommt, was ihr abgeht. Physiologisch wirkt hier die Milz über die Bauchspeicheldrüse und liefert an den Dünndarm genau jene Verdauungsenzyme, die wir zur Aufbereitung des Frühstücks brauchen. Die Milz steuert damit die Nahrungsaufnahme im Dünndarm und „holt sich, was sie braucht“, wie es Weidinger beschreibt2

Die Milz gibt die Energie weiter an das Herz. Die Zeit um den Sonnenhöchststand ist die Zeit, in der unser kaiserliches Organ ebenfalls seine Höchstleistungen vollbringen kann – und auf der anderen Seite sollten wir zwischen elf und ein Uhr nachts schlafen, um dem Herzen ein bisschen Regeneration zu ermöglichen. Auch das Mittagessen passt hierher, weil das Herz die Energie an den Dünndarm weitergibt, der nun von eins bis drei an der Reihe ist. Der Dünndarm ist zu dieser Zeit wohl auch doppelt belastet. Einerseits entleert sich der Magen nach dem Mittagessen, andererseits gibt der Dünndarm am anderen Ende das Frühstück an den Dickdarm weiter. Dafür benötigt es „Feuer“, Wärme, gute Durchblutung, um all die nötigen Arbeiten zu verrichten. All das geschieht im Normalfall in der Hektik des Tages, irgendwo im Sitzen am Schreibtisch oder sonst wo unterwegs.

Die Energie des Dünndarms fließt nun wieder von der Hand zum Kopf und übergibt an die Blase, die zwischen drei und fünf Uhr ihren Höchststand hat. Der Blasenmeridian führt vom inneren Augenwinkel über den Scheitel entlang der Wirbelsäule bis zur kleinen Zeh. Vielleicht kennt mancher von Ihnen einen frühmorgendlichen Harndrang, der gerne dann auftritt, wenn die Blase das Energieminimum zwischen drei und fünf Uhr morgens hat. Am Nachmittag sind wir aber jetzt für Aktivitäten gerüstet und die Blase sollte gut speichern. Andererseits gilt es auch, die über die Nahrung aufgenommenen, wasserlöslichen Schadstoffe jetzt loszuwerden. Die Nieren arbeiten gut, wenn man sich bewegt, also z.B. beim Gehen oder Laufen. Sie filtern diese Schadstoffe inklusive den aus der Eiweißverdauung übrig gebliebenen Harnstoffen aus dem Blut und übergeben es der Blase. Auch aus dieser Sicht ist es wohl eine gute Zeit für die Blase, die hier am Ende eines Energiemaximums, das wir am Nachmittag erreicht haben, ihre Arbeit verrichtet.

Nach der Blase übernimmt die Niere die Energie und führt diese wieder in den Brustkorb zurück. Die Zeit der Niere ist nun zwischen fünf und sieben Uhr, der Übergang vom Tag in den Abend. Hier haben wir auch unsere größte Willensstärke und wir sollten die Projekte des Tages damit gut abschließen. Bezeichnend ist auch der Übergang in den Abend, die Verbindung des Yang mit dem Yin. Die Niere kommt ja paarweise vor und man sagt in der TCM, dass die linke Niere der Ursprung des Wassers, die rechte der Ursprung des Feuers im Körper ist. Die Niere ist also der Ausgangspunkt des Lebens und wir kommen hier am Beginn des Abends zu ihr zurück.

Der Nierenmeridian übergibt die Energie an den Perikard-Meridian. Jetzt beginnt die Zeit des geselligen Beisammenseins, weshalb dieser Bereich auch gerne mit „Kreislauf-Sexualität“ beschrieben wird. Der Perikard ist wie die rechte Niere Teil des ministeriellen Feuers, das für alle Aktivitäten im Körper benötigt wird, die Wärme brauchen, wie beispielsweise die Verdauung. Dieses ministerielle Feuer wird hier übergeben.

Ab neun übernimmt dann der dreifache Erwärmer (3E) und man kann hier wohl sagen, dass der Körper nun mit den Aufräumarbeiten beginnt. Der 3E ist zuständig für unseren Wasserhaushalt. Die Energie fließt vom Ringfinger entlang der äußeren Seite des Arms aufwärts zum Kopf. Im Bereich des Auges übernimmt nun der Gallenblasenmeridian und das zeigt uns schon, dass die Reinigung des Körpers weitergeht. In der Zeit zwischen elf und drei Uhr früh sollten wir der HUN Ruhe gönnen, also schlafen. Die Zeit von eins bis drei dient außerdem der Leber, die hier ihre höchste Energie zur Blutreinigung hat. Wiederum macht sie das am besten, wenn wir uns in Ruhe befinden, flach liegen und das Blut in der Leber gesammelt wird.

Nach der Leber kommt dann wieder die Lunge und der Kreislauf beginnt von vorne.

Wozu ist das wichtig?

Einerseits sollten wir verstehen, dass der Tagesablauf harmonisch mit der Umwelt und den Organen erfolgen soll. Dies bedeutet, dass wir früh aufstehen und auch früh schlafen gehen sollten. Auch die Nahrungsaufnahme sollte im Wesentlichen am Vormittag erfolgen und gegen die Mittagszeit abgeschlossen sein. Ein Weglassen des Abendessens entlastet den Darm ebenso wie eine vollständige Entleerung am Morgen.

In der Akupunktur kann man das Mittags-Mitternachtsprinzip verwenden. Danach können Organe nicht nur in den zwei Stunden ihres Energiemaximums, sondern auch genau 12 Stunden früher odr später, also in der Zeit des Energieminimums am besten behandelt werden.

Energetisch ist es auch wichtig, den jeweiligen Nachfolger in der Organuhr zu kennen. Die Qi-Welle läuft sozusagen von einem Meridian in den nächsten und wenn es eine Blockade in einem Meridian gibt, dann leidet auch der folgende. Die Chinesen zählen überhaupt nur sechs Meridiane, nicht 12 wie wir, weil sie immer den Meridian im Arm und den zugehörigen, der in das Bein führt, zusammenfassen. Daraus ergeben sich dann die sechs Schichten, was wieder ein anderes Erklärungsmodell der TCM ist..

1Siehe Requena, Seite 71

2Siehe Weidinger, Seite 142

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